Allgemeines Qualitätsproblem in Sozial – und Geisteswissenschaften?

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Klaus Osterhagen
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Allgemeines Qualitätsproblem in Sozial – und Geisteswissenschaften?

Beitrag von Klaus Osterhagen »

Ich wage mal die These, dass die ganze Debatte um die sogenannten „Woke-Themen“ eine Tradition der Unwissenschaftlichkeit in den Sozial- und Geisteswissenschaften fortsetzt, oder zu einem neuen Höhepunkt bringt, die es in diesem Bereich schon sehr lange (oder schon immer?) gegeben hat.

Ich bin aus dem Unibetrieb ja schon ewig raus und kann nicht sicher sagen, wie des da heute zugeht. Hätte aber die Vermutung, dass es noch aktivistischer und noch weniger wissenschaftlich geworden ist. Früher waren Marxismus und Psychoanalyse die dominierenden Paradigmen. Die Kritik an beiden Denkschulen füllt Regalkilometer in den Unibibliotheken. Beide haben wenig bis nichts mit empirischer Sozialforschung zu tun, waren aber extrem Einflussreich.

Man hat auch früher in den Sozialwissenschaften auch keinen Hehl draus gemacht, dass man sich eher als Aktivisten versteht, denn als Wissenschaftler. Man denke nur an den berüchtigten Positivismusstreit, der ja irgendwie in alle Sozialwissenschaften ausgestrahlt hat.

Ich erinnere mich noch an Wilhelm Reich, der mit Orgon und Orgasmuslehre "den Kapitalismus" zu Fall bringen wollte. Heute wie damals haben wir es eher mit sektenhaften Unsinn zu tun, denn mit Wissenschaft. Zu seiner Zeit aber sehr wirkmächtig in bestimmten (linken) Milieus. Für Willhelm Reich interessiert sich heue kaum noch jemand, der Unsinn verschwindet einfach sang und klanglos. Es gibt noch ein paar Heilpraktiker für Psychotherapie, die das ernst nehmen. Der Unsinn verliert einfach an Relevanz. Dafür wird einfach neuer Unsinn propagiert. Das geht dann immer so weiter.

In der GWUP waren solche Dinge leider nie ein Thema. Das liegt m. E. zum einen daran, dass der Schwerpunkt immer auf Naturwissenschaften lag, zum anderen aber auch daran, dass die GWUP viele Mitglieder aus solchen Ideen zugeneigten Milieus rekrutiert.
Michael Toppel
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Re: Allgemeines Qualitätsproblem in Sozial – und Geisteswissenschaften?

Beitrag von Michael Toppel »

Der Positivismusstreit war ein deutsch(sprachig)es Phänomen. Die globale Analytische Philosophie kennt den nicht. Ich habe ihn Wien während des Studiums auch nur in einem Halbsatz von einem Mathematiker davon gehört.

Das Woke-Thema ist aber ein allgemeines und betrifft die gesamte "westliche" Geisteslandschaft. Es gibt sicher ein paar... Aspekte... der deutschen akademischen Kultur, die Synergien erzeugen, aber ich glaube nicht, dass man hier von einer allgemeinen Verfassung der "Sozial- und Geisteswissenschaft" sprechen kann. (Vielleicht kann man von einer allgemeinen Qualität der Absolventen sprechen in Hinblick auf Massenuniversität, aber das ist eine andere Baustelle.)

Was beim Woke-Thema eher auffällt, ist, dass es ja eben nicht so ist wie bei Marxismus und Psychoanalyse. Wir haben ja eben keine Bibliotheken voll mit Texten, die das widerlegen und kritisieren. Es gibt nur so Reaktionen darauf wie der Aufschrei bei der Ehrendoktorwürde von Derrida durch die Uni Harvard und diese Fake-Artikel, die diese Gruppe um Peter(!) Boghossian an Journals geschickt hat. Und Martha Nussbaum hat diese Kritik gegen Judith Butler geschrieben, aber das war auch eher auf einer Metaebene des Feminismus. Fachlich gab es keine Kritik an diesen Gebieten. Die Mühe hat sich keiner gemacht. Ich mag mich irren, aber wenn jemand eine philosophische, sprachwissenschaftliche oder methodische Kritik (älter als 2015) an den Gebieten, die unter „Woke“ fallen, nenne kann, dann bitte.
Lars Harzem
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Re: Allgemeines Qualitätsproblem in Sozial – und Geisteswissenschaften?

Beitrag von Lars Harzem »

Es gibt nur so Reaktionen darauf wie der Aufschrei bei der Ehrendoktorwürde von Derrida durch die Uni Harvard und diese Fake-Artikel, die diese Gruppe um Peter(!) Boghossian an Journals geschickt hat. Und Martha Nussbaum hat diese Kritik gegen Judith Butler geschrieben, aber das war auch eher auf einer Metaebene des Feminismus. Fachlich gab es keine Kritik an diesen Gebieten. Die Mühe hat sich keiner gemacht. Ich mag mich irren, aber wenn jemand eine philosophische, sprachwissenschaftliche oder methodische Kritik (älter als 2015) an den Gebieten, die unter „Woke“ fallen, nenne kann, dann bitte.
Auf die Schnelle fällt mir da Folgendes ein.
1. Die Sokal-Affäre: Quasi ein Vorläufer der Hoaxes um Boghossian (aber mit geringerem Umfang). Yasha Mounk nannte Boghossians "Grievance Studies Affair" daher auch "Sokal Squared" https://www.wikiwand.com/de/Sokal-Aff%C3%A4re
2. Kindly Inquisitors: Habe ich selbst nicht gelesen, aber in Diskussionen zur Wokeness aus den letzten ca. 10 Jahren zahlreiche Verweise auf dieses Buch von 1993 gehört. Der Autor kritisiert darin Politische Korrektheit, die ja als Vorläufer von Wokeness aus demselben Stoff gewebt und teils auch mit demselben Eifer vertreten wurde. https://www.amazon.de/Kindly-Inquisitor ... 0226705765
3. Viele der zahlreichen Werke von Thomas Sowell, unter anderem "A Conflict of Visions", "The Quest for Cosmic Justice", "Black Rednecks & White Liberals", "Intellectuals and Society". https://www.wikiwand.com/en/Thomas_Sowell#Bibliography

Nummer 2 und 3 beziehen sich nicht (nur) auf den universitären/wissenschaftlichen Betrieb, sondern kritisieren eher das Handeln in Politik und Gesellschaft auf der Basis von "woken" Prämissen.
Michael Toppel
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Re: Allgemeines Qualitätsproblem in Sozial – und Geisteswissenschaften?

Beitrag von Michael Toppel »

Ja, aber sowas eher schon fast mainstreamiges habe ich nicht gemeint.

Ein Tim Williamson z.B. setzt sich nicht hin und widerlegt die Grundannahmen von Queer-Theorie.
Was es gibt, ist wohlmeinende Umdeutung. Es gibt sehr viele Philosophen mit Ahnung, die angefangen haben, postmoderne Herangehensweisen auf ein logisch nachvollziehbares Fundament zu stellen und analytische Philosophie damit zu machen. Ich weiß nicht wie die von beiden Seiten aufgenommen werden. Ich habe den Eindruck sie werden ignoriert.
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